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Tour de France

Nach der ganzen Vorbereitung - Zugverbindungen mit Fahrradmitnahme in Frankreich, Umstieg auf ein Klapprad - ging es dann am Freitag, den 18.6. los. Mit der Bahn bin ich ins Saarland gefahren, nach Dillingen, wo ich eine zeitlang zur Schule ging. Gestartet bin ich um halb sechs, in Dillingen angekommen um kurz vor 3. Bis Karlsruhe ging es mit dem ICE ganz gut, danach war es dank 9 Euro Ticket ziemlich voll, einige Radler kamen gar nicht mehr rein. Umso mehr war ich froh, das Brompton zusammengefaltet zwischen meinen Füßen eingeklemmt im vollgequetschten Zug mitnehmen zu können.

Danach bin ich dann gemütlich durch Rehlingen getingelt, dem Ort meiner Kindheit, bin bei unserem früheren Zuhause vorbeigefahren, an meinem Kindergarten vorbei und durch die Wiesen, in denen wir früher immer gespielt haben. Highlight war da immer ein ausrangierter Mähdrescher, da durften wir eigentlich nicht spielen, aber der übte immer eine hohe Faszination aus.  Leider war auch der weg, kein Wunder nach mehr als 40 Jahren.

Die Saar entlang ging es dann über Fremersdorf und Merzig bis zur Jugendherberge ain Dreisbach. Ich konnte dort ein Einzelzimmer mit Bad buchen, recht günstig und vor allem direkt an der Saarschleife gelegen. Mein Rad konnte ich schön zusammengeklappt in meinem Zimmer deponieren, keine Gefahr dass es wegkommt, prima. 

Am nächsten Morgen bin ich dann zur Saarschleife gefahren. Erst mal einige Höhenmeter, da war ich über die Modifikation meines Kettenblatts auf 38 Zähne wirklich froh. Weil ich früh dran war, bin ich zunächst auf den alten Aussichtspunkt, von dem man die Saarschleife nicht komplett sieht. Sie liegt unterhalb des sehr monströs wirkenden Baumwipfelpfades. Den hat man aber wohl so hoch gebaut, um die Aussicht auf die gesamte Saarschleife zu sehen. Naja, ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte ich schon, so ein Bauwerk zu unterstützen, aber die Aussicht ist wirklich phänomenal. Danach bin ich Richtung Mosel aufgebrochen, habe noch einen Schlenker nach Schengen gemacht, um meiner Tour de France mit Luxemburg noch ein drittes Land hinzuzufügen.

Der Moselradweg war wirklich schön. Nur ein paar Radler unterwegs, flach am Ufer der Mosel entlang. Allerdings sehr schweißtreibend, die Temperaturen waren bis 36°. Puh. Tagesziel war Thionville, wo ich ein Hotel direkt am Bahnhof gebucht habe. Am nächsten Tag wollte ich per Zug und Bus nach Verdun fahren, um dort ein bisschen mehr Zeit für die Festungsanlagen zu haben. In Thionville habe ich mir noch ein Eis gegönnt. Ziemlich teuer (normal für Frankreich, wie ich noch lernen sollte), aber wunderschön gemacht, wie eine Blüte. 

Nach Verdun bin ich dann mit dem Zug aufgebrochen. Dank des kleinen Faltmaßes konnte ich mit dem TGV fahren, dort geht es als Handgepäck durch. Wirklich genial. Ich bin dann mitten im Nirgendwo an der Bahnstation Meuse TGV ausgestiegen. Dort stand schon ein Bus bereit, der nach Verdun fahren sollte. Meine Tasche und mein Brompton sollte ich in den Kofferraum tun und dann stieg ich in einen komplett leeren Bus. Ich war der einzige Fahrgast. Mit flottem Tempo fuhr die Fahrerin nach Verdun, kleine Landstraßen und einige Kreisverkehre, so dass ich zwischendrin schon dachte, mein Gepäck wird durch den komplett leeren Kofferraum hin und her rutschen. Beim Aussteigen konnte ich aber feststellen, dass dem nicht so war, es stand noch alles an seinem Platz und das Brompton blieb heil. Glück gehabt. Beim nächsen Mal packe ich ein Verzurrband ein. 

In Verdun habe ich nächst das Gräberfeld vor dem Beinhaus angeschaut. Zahllose Kreuze, in Reih und Glied, das ist beeindruckend. Richtig beklemmend wird es aber, wenn es in die Festungsanlage geht. Von außen sieht man nur die Gemäuer und die Geschütztürme, sobald es reingeht wird es dunkel und kalt. Richtig kalt. Außen waren es über 30 Grad, innen höchstens 15. Dazu eine hohe Luftfeuchtigkeit, in vielen Räumen wachsen Stalaktiten. Vor mir läuft eine französische Schulklasse durch die Gänge. Irgendwann lässt der Lehrer eine Stahlplatte fallen um die Lautstärke der Geschütze zu demonstrieren. Ohrenbetäubend. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie bedrückend das war. Dazu kommt die starke Einschränkung des Alltags. Waschen, Toilette... Die Geruchsbelastung muss ein echtes Problem gewesen sein, den Soldaten war oft schlecht durch den Gestank. Dazu liest man, dass das Fort Deaumont mehrmals wechselseitig eingenommen wurde, mit großen Verlusten auf beiden Seiten. Was für ein Irrsinn. 

Weil ich genügend Zeit hatte, bin ich dann noch in das Museum gegangen, ursprünglich hatte ich das gar nicht vor. Das war aber wirklich sehenswert, viel mehr als alles andere. Zunächst sieht man natürlich Waffen und Ausrüstung, Uniformen, Gasmasken usw. Viele Erklärungen zur Bedeutung der Festungsanlagen. Dann aber auch Beschreibungen des Krieges, der Versorgung, des Sanitätswesens, dem Schlamm, der scheinbar wirklich ein ernsthaftes Problem war. Und dann einige Gedanken von Soldaten zum Krieg und zum Sterben. Maskottchen von Ihren Lieben, die in Gedanken bei ihnen waren. Und das hat mich fast ausgeknockt. Furchtbar. 350.000 Menschen sind in Verdun um's Leben gekommen. All diese Spuren von Leid und Tod zu sehen und gleichzeitig in den Nachrichten zu hören, dass in der Ukraine das gleiche nochmal passert (Spiegel Online: "Donbass, das moderne Verdun"). Schrecklich. 

Ich bin dann mit dem Rad zurück nach Verdun gefahren, durch die grünen Wälder und die warme Sonne, das hat geholfen, das Gesehene zu verdrängen. Schlimm dass es damals so war und schlimm dass es auch heute - trotz aller Erfahrungen aus der Geschichte - genauso ist. In der Rückschau sind alle diese Kriege so sinnlos. Was werden zukünftige Generationen über uns und den Ukraine-Krieg denken?

In Verdun hatte ich ein Zimmer privat bei einem älterne Ehepaar, in einem kleinen Häuschen, mit Hund. Dort konnte ich meine spärlichen Französischkenntnisse nochmal ein bisschen entrosten. 

Am nächsten Morgen bekam ich ein tolles französisches Frühstück. Mit beurre salé, gesalzener Butter, die liebe ich. Und ich hatte einen Frühstücksfreund, den Hund des Hauses. Ein ganz lieber. Ich sollte wohl denken, der sei eigentlich nicht da, außer ich wollte was vom Frühstückstisch loswerden. Tja, die lieben Kleinen.

Auch in Verdun (und auch später an vielen anderen Orten) sind mir immer wieder Standbilder von Soldaten und Grabkreuze aufgefallen, die Kriegsgedenken sind in Frankreich scheinbar viel präsenter als bei uns. 

 

Per Bus bin ich dann nach Chalons en Champagne gefahren, auch hier zunächst leer, wurde dann aber etwas voller. Nach einer Mini-Sightseeing-Tour in Chalons bin ich dann der voie verte, der Fahrradroute entlang des Marnekanals gefolgt. Traumhaft. Lange Streckenabschnitte gepflastert, keine Steigungen, den Kanal zur Seite, ab und zu eine Staustufe. Schön zu fahren. In Ay, einem etwas größeren Dorf stosse ich auf eine ganze Reihe von Champanger-Weingüter. Was soll ich sagen? Man sieht, dass hier gutes Geld verdient wird. Die Weingüter sind super schick hergerichtet, bieten Champagner und Proben an, das macht schon was her. Im Ortszentrum gibt es eine kleine Fußgängerzone, dort sind polierte Granitsteine im Pflaster verlegt. Beeindruckend dekadent. Man hat Geld. Ich übernachte in einem kleinen Hotel direkt an der Marne. Wunderschön, mit Pool und freundlichem Service. Echt schön. 

Das Frühstück ist genausogut wie die ganze Anlage. Mit Herzblut gemacht. Die Nacht über hat es geregnet. Mein Brompton hatte ich dummerweise draussen stehenlassen (lession learned: immer aufs Zimmer nehmen!), so dass ich erst mal etwas putzen musste. 

Nächstes Etappenziel war Épernay, die "Hauptstadt" der Champagne, in der alle großen Weingüter ihren Sitz haben. Bevor ich mich daran mache, die Avenue de Champagne, das Herz von Épernay zu besichtigen, möchte ich mir noch etwas Kettenöl besorgen. Ich suche mir in Google einen Fahrradladen und lande bei einem Fahrradbauer, der die Räder vom Rahmen über die Komponenten selbst zusammenbaut. Irgendwann kann ich klarmachen, dass ich Kettenöl zu mitnehmen haben möchte und er sucht in seiner Werkstatt nach einem kleinen Fläschchen. In der Zwischenzeit kann ich die vielen schönen Räder oder Teile davon anschauen. Ein toller Laden. Und ein begeisternder Inhaber.

Mit frisch geölter Kette starte ich ins Sightseeing. In der Stadtmitte gibt es einen Fesselballon, aber als ich voller Begeisterung ein Ticket kaufen will heißt es "zuviel Wind, vielleicht am Nachmittag". Schade, darauf hatte ich mich schon gefreut. Also weiter zur Avenue de Champagne. Dort scheinen alle relevanten Weingüter ein Palais zu besitzen. Eines pompöser als das andere. Beeindruckend.  

Irgendwann sehe ich den Ballon in der Luft, obwohl der Wind gefühlt nicht abgeflaut ist. Egal, ich kaufe mir ein Ticket und steige ein. Eine schöne Fahrt. Ganz oben ist der Wind durchaus stark, aber man hat einen schönen Blick über die Weinberge und über die Stadt. 

Nach den vielen Weingütern suche ich mir ein paar Kilometer weiter eine Übernachtungsmöglichkeit in einem solchen Weingut. Nicht pompös, mit einer sehr freundlichen Gastgeberin, die sich über mein Französisch freut (inzwischen sprechen leider viele Franzosen automatisch Englisch, wenn sie merken, dass man kein Franzose ist, schade). Zum Ausklang des Tages gönne ich mir noch einen Champagner, der scheinbar direkt ins Blut geht. Sehr lecker.

Das Weingut-Frühstück am nächsten Morgen ist spitzenklasse. Und natürlich gibt es wieder einen Frühstücksfreund, der mir ganz treuherzig Gesellschaft leistet. 

Die nächste Teilstrecke an der Marne entlang hat leider keine befestigten Wege. Ein Teilstück ist schon sehr zugewachsen, aber ich probiere es. Ein Fehler. Nach einigen hundert Metern streikt meine Schaltung. Durch die kleinen Räder des Brompton sitzt das Schaltwerk so tief, dass Grashalme in die Schaltung und Kette reingezogen werden und alles verstopfen. Mist. 

Also Hinterrad und Schaltung ausbauen und alles säubern. Danach geht's dann auf geteerten Straßen weiter. 

Leider wird das Wetter schlecht. Zunächst nieselt es nur ein bisschen. Zur Motivationssteigerung fährt ein Rennradler vor mir her, mit dem ich ganz gut mithalten kann. Vielleicht war er aber auch nur gnädig :-). 

Irgendwann wird der Regen mehr und die Vorhersage zeigt, dass es auch so schnell nicht besser wird. Tja. Augen zu (und Regenjacke an) und durch. Irgendwann habe ich Froschfinger, so nass ist alles. 

Am Nachmittag lässt der Regen dann nach. Als ich in Meaux ankomme, lugt sogar die Sonne etwas raus. Ich habe ein Hotel mit Zimmer direkt am Pool, herrlich. 

Die nächste Etappe führt mich nach Paris. Paris! Als ich das erste Schild mit "Paris" sehe, freue ich mich, aber es sind dann noch einige Stunden. Bei den Fahrten über Land oder in den kleinen Städten sind Radwege entweder nicht da oder in einem katastrophalen Zustand, noch schlechter als in Deutschland. Aber in Paris, da kehrt sich das kolossal um. Für die Zufahrt nach Paris fahre ich am Canal de l'Ourcq entlang. Super. Kein Verkehr, außer ein paar Radlern (nochmal ein gnädiger Rennradler). Fußgänger haben ihre eigenen Wege. Man kommt also zügig voran. Als ich in der Innenstadt ankomme, bin ich zunächst von der Verkehrsdichte erschlagen. Aber ich sehe schon, dass es überall Radwege gibt. Typischerweise Zweiwegeradwege, meist mit eigenen Ampeln. Ich fahre zunächst zur Sacre Coeur, danach zu verschiedenen anderen Pariser Sehenswürdigkeiten. Und ich lerne das Rad als Touri-Verkehrsmittel schätzen. Man kommt schnell voran, sieht viel von der Stadt, kommt nahe an die Sehenswürdigkeiten ran. Echt prima. Dazu trägt auch die hervorragende Infrastruktur bei. Man hat den Autos in den großen Straßen eine von meist 3 oder 4 Spuren genommen und sie für Fahrräder in beide Richtungen umgewidmet. Das funktioniert erstaunlich gut. Alle sind entspannt. Mit der Zeit passe ich mich an und bin ebenso entspannt. Anders als in Deutschland hat man nicht das Gefühl, dass Autofahrer einen gleich ummähen. Sie fahren zügig, geben aber auch acht und akzeptieren Radler als Teil des Verkehrs. Sowas würde ich mir auch für meine Heimat wünschen. 

Nach Paris steht Fontainebleau und das Konzert von Magma auf dem Plan. Der Weg führt an der Seine entlang. Auch wieder große Teile fernab der Straße. Irgendwann erwischt mich dann nochmal eine Schauer, aber nichts Wildes. Durch einen verbauten Radweg werde ich durch die Innenstadt von Melun geleitet. Dort sehe ich einen Antiquitätenladen. Weil ich meiner Frau versprochen habe, ihr was mitzubringen, schaue ich dort rein. Und was sehe ich? Ein kleines Porzellandöschen mit "pour toi est mon choer", für Dich ist mein Herz. Ich bin hin und weg. Ich vermisse sie und weiß, das wird sie freuen. Hoffentlich bringe ich es heil nach Hause (Spoiler: ja, hat geklappt, sie war auch hin und weg). 

Ich übernachte in einem F1 Billighotel kurz vor Fontainebleau. Mit Gemeinschaftsduschen und Gemeinschaftstoiletten auf dem Gang. Klingt nicht gut. Ist aber besser als erwartet. Die Toiletten waren immer sauber, die Duschen ebenso, ich war positiv überrascht. Und ich hatte erstmalig mein Reisehandtuch im Einsatz, es gab nämlich keine vom Hotel. Wieder was gelernt. 

 

Das Frühstück im F1 ist besser als erwartet. Den Kaffee kann man trinken und das Essen ist nicht mehr *alles* in Plastik verpackt. Als ich nach Fontainebleau komme, sehe ich die ersten Plakate des Django Reinhardt Konzerts, wo am Folgetag die Band Magma auftreten soll. Sozusagen der Anlass der Reise. Ich habe den ganzen Tag Zeit, deshalb schlendere ich ein bisschen durch die Stadt, bewundere Konditoreien und Käsegeschäfte, bringe mein durch den Regen etwas mitgenommene Fahrrad wieder auf Vordermann und mache eine Besichtigung des Schlosses.

Dann, am Sonntag, ein weiteres Highlight: Das Konzert von Magma. Es sollte erst am Abend beginnen, aber ich bin schon ab 16 Uhr dort gewesen, es gibt bestimmt noch andere interessante Sachen zu hören. 
Naja, so ganz das Wahre ist es dann doch nicht. Es gab verschiedenen Gruppen, alle irgendwie mit akustischen Gitarren, technisch beeindruckend, aber nicht mein Ding. Schade. 

Was mir gut gefallen hat: Bachar Mar Khalifé hat am Abend gespielt. Ich glaube das erste Stück war das hier, ein echter Knaller. 

Zwischendrin haben ein Eis und etwas Regen für ergänzende Höhen und Tiefen gesorgt. Und dann war es endlich soweit: Magma tritt auf. Das Konzert war gut, besser als das letzte, das ich in der Philharmonie in Paris besucht habe.

Leider waren keine Bläser dabei, so wie hier (das ist für mich einer der besten Auftritte, besonders das Saxophon Solo und das bescheidene Grinsen hinterher). 

Am Montag ging es dann wieder zurück. Zunächst mit dem Nahverkehr nach Paris Gare de Lyon. Dann 10 min mit dem Fahrrad zum Gare de l'Est. In den ICE und dann über die TGV-Strecke mit 320 km/h nonstop bis nach Straßburg. In Deutschland war das Tempo wieder gemächlich und eine Stunde Verspätung obligatorisch, aber was soll's. 

Auch auf dieser Fahr habe ich die Kompaktheit des Brompton schätzen gelernt. Insgesamt ist die Kombination von Faltrad und Zug/Bus eine tolle Bereicherung, weil man ganz anders planen kann, als wenn man An- und Abfahrt immer auf eigener Achse realisieren muss. Auch mal Teilstrecken mit Bus oder Bahn fahren zu können ist prima. Man kann sich auf die schönen Strecken konzentrieren. Ich bin froh, dass ich das Brompton gebraucht in einem guten Zustand so günstig bekommen konnte. 

Neben schönen Erinnerungen an die Champagne, an das Konzert, an Paris, auch beklemmende Gedanken an Verdun, habe ich noch was anderes mit heimgebracht. Ein paar Tage später erkranke ich an Corona. Neben einer Woche akuter Krankheit habe ich eine weitere Woche Schwindel. Aber der lässt dann irgendwann auch nach und ist inzwischen weg. Dafür bin ich dankbar. 
Was mir länger erhalten bleiben wird, sind die schönen Momente. 

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